Cannes - Filmfestival 1983

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Reihe: Wettbewerb

Narayama Bushiko

Directed by:   Shohei Imamura, Japan - 1983
Director: Shohei Imamura - Scenario: Shohei Imamura - Director of Photography: Masao Tochizawa - Composer: Shinichiro Ikebe - Cast: Takejo Aki - Ken Ogata - Sumiko Sakamoto -
Synopsis in German: Frau Orin lebt mit ihren erwachsenen Söhnen und ihren Enkeln in einem Dorf am Fusse des heiligen Berges Narayama. Der Alltag der Menschen ist geprägt vom Rhythmus der Natur. Man paart sich, man bekommt Nachwuchs, man bestellt das Feld und trotzt der Natur das zum überleben Notwendige ab. Besonders in den langen Wintern gibt es kaum genug Nahrung, um alle Münder zu stopfen. Männliche Babys werden zuweilen umgebracht und die weiblichen Nachkommen verkauft. Rau und archaisch geht es im Dorf zu. Als eine vielköpfige Familie des Lebensmitteldiebstahls überführt wird, wird sie von den Dorfbewohnern lebendig begraben. Um die Zahl der Esser zu begrenzen, verlangt es die Tradition, dass die älteren Dorfbewohner zum Sterben auf den Narayama gebracht werden. Frau Orin ist noch rüstig, versorgt den Haushalt und weiss als einzige im Dorf, wo und wie man die begehrten Yamabe-Fische fängt. Doch - ganz der Religion verpflichtet - bereitet sie sich auf ihren letzten Gang vor und richtet das Leben ihrer Söhne für die Zeit ohne sie ein. Sie sorgt dafür, dass ihr ältester, der verwitwete Tatsuhei, eine zweite Frau bekommt. Und sie organisiert ihrem Jüngsten, dem ungebärdigen Risuke, die betagte Nachbarin zur Befriedigung seiner Bedürfnisse. Dann drängt sie Tatsuhei, sie auf den Berg zu bringen. Gegen seinen Willen trägt der Sohn seine Mutter hinauf. Als sie den von Raben und Krähen bewachten und von Gebeinen und Schädeln übersäten Totenacker erreichen, beginnt es zu schneien. (Arte Presse)
Remarks and general Information: " So wie Akira Kurosawa mit "Dersou Ouzala" sein Comeback geschafft hat, gelingt es auch Sohei Imamura mit NARAYAMA BUSHIKO, einem Film, der 1993 mit der Goldenen Palme in Cannes ausgezeichnet wurde, erneut ins Rampenlicht zu treten. In den siebziger Jahren hatte er, ähnlich dem Regisseur von KAGEMUSHA, eine Reihe kommerzieller Misserfolge erlitten, infolge derer er das Filmemachen praktisch einstellen musste, beziehungsweise gezwungen war, Fernsehaufträge anzunehmen. Die Filme Imamuras mit ihrer vehementen sarkastischen Tonalität und einer sich ständig im Grenzbereich bewegenden emotionalen Intensität scheinen zunächst recht weit entfernt von NARAYAMA BUSHIKO, einem Roman, der in den fünfziger Jahren zum ersten Mal verfilmt wurde; damals in relativ nüchtern zurückhaltender Form, um den dessen Hauptthema - Opferbereitschaft und Selbstlosigkeit - gerecht zu werden.
Und dennoch: Die filmische Umsetzung von Imamura konzentriert sich zwar ganz auf die Regeln des Rituellen, nach denen der ewige Takt des Pendels der Jahreszeiten, die das Leben der Bauern im Japan des Mittelalters bestimmen, in die von Alters her bestehende und unangefochtene Tradition mündet, der zufolge jeder, der in das siebte Lebensjahrzehnt eintritt, die Wanderschaft zum Berg Narayama antreten muss, um dort seinen letzten Lebensabschnitt zu verbringen. Gleichzeitig erkennt man in diesem Werk aber die ganze Energie und ungezähmte Entschlossenheit des Bilderstürmers, für die der Regisseur bekannt ist.
Die Welt des Mittelalters reduziert sich aus westlicher wie auch östlicher Sicht häufig auf schlüpfrige Geschichten. Das Interesse Shohei Imamuras, der Filme wie "Vengeance is mine" (FUKUSHU SURU WA WARE NI ARI) mit fast anarchisch anmutender Gewalt gedreht hat, konzentriert sich bei diesem Film zuallererst auf die Art und Weise, wie sich soziale Regeln manifestieren, sobald sie, wie in diesem Fall, des gnädigen Schleiers der bürgerlichen Konventionen beraubt sind. Die von Imamura dargestellte Gesellschaft ist zerlumpt und arm, dabei aber erstaunlich gut organisiert. Das Rohe dieser Menschen kommt nur an den Stellen deutlich zum Tragen, an denen japanisches Raffinement, wie man es als westlicher Zuschauer üblicherweise erwartet, ausbleibt. So erscheint auch die Verbannung auf den Berg Narayama nur dem sensiblen und verwirrten Tatsuhei schwer erträglich; sein Blick entspricht dem des Publikums, das die grausamen Riten dieser Gesellschaft erkennt und akzeptiert.
Im Vergleich zu manch früheren Filmen Imamuras, mit ihrer aufwühlenden Eindringlichkeit und Experimentierfreudigkeit, wie etwa "The Insect Woman" (NIPPON KONCHUA KI,1965), werden in NARAYAMA BUSHIKO brutale Szenen nicht in abrupten Wechseln eingeschoben, sondern fügen sich quasi natürlich in die Landschaft und den Wechsel der Jahreszeiten ein. Was zunächst als barbarischer Ritus erscheint, wird unter dem hintergründigen Blick Imamuras und dank seiner Neigung zu mehrdeutigen Interpretationen zu einem Konzentrat der Zivilisation in einem kleinen Bergdorf. Die Allgemeingültigkeit des Films macht zweifelsohne dessen Erfolg mit aus, was auch für die nachfolgenden Werke Imamuras gilt, deren Themen zwar der Geschichte Japans entlehnt sind, wie "Black Rain"(KUROI AME), 1989, über den Atombombenangriff und "Doctor Akagi (KANZO SENSEI), 1998, dem Cineasten aber letztlich nur den Stoff liefern für eine Hinterfragung des Zustandes der modernen Welt." (Julien Welter, arte-tv.com)