Vivre sa vie

Die Geschichte der Nana S.

Regie: Jean-Luc Godard, Frankreich, 1962

Frankreich, 1962
Plakatmotiv Vivre sa vie, © Films de la Pléiade, Pathé Cinéma


Stab und Besetzung

Produktion Les Films de la Pléiade
Pathé Cinéma
Produzent Pierre Braunberger
Regisseur Jean-Luc Godard
Drehbuch Jean-Luc Godard
Story Marcel Sacotte [Où en est la prostitution]
Kamera Raoul Coutard
Musik Michel Legrand
Schnitt Jean-Luc Godard
Agnès Guillemot
Kostümbild Christiane Fageol
Weiteres Team Suzanne Schiffman [Scripte]
Darsteller Henri Attal [Arthur]
Mario Botti [Der Italiener]
Marel Charton [Polizist]
Jean Ferrat [Mann bei der Jukebox]
Jack Florency [Mann im Kino]
Odile Geoffroy [Barmaid]
Gisèle Hauchecorne [Concièrge]
Gérard Hoffmann [Le Chef]
Anna Karina [Nana Kleinfrankenheim]
Peter Kassovitz [Junger Mann]
Elia Kazan [Ein Kunde Nanas]
André S. Labarthe [Paul]
Brice Parain [Philosoph]
Paul Pavel [Journalist]
Gilles Quéant [Ein Mann]
Sady Rebbot [Raoul]
Jean-Paul Sauvignac [Soldat]
Eric Schlumberger [Luigi]
Guylaine Schlumberger [Yvette]
Guylaine Schlumberger [Der Verwundete]
Sprecher Jean-Luc Godard [Zitat Edgar Allan Poe]

Technische Angaben
Technische Info: Format: 35 mm - Schwarz-Weiss Film,Länge: 83 Minuten
Tonsystem: mono
Premiere: 20. September 1962 in Paris
Szenenphoto aus Vivre sa vie, © Films de la Pléiade, Pathé Cinéma

Kritiken : Stilübungen über die Prostitution - Vivre sa Vie
Il ya des films que l'on admire et qui découragent: à quoi bon ì
continuer après lui, etc. Ce ne sont pas les meilleurs, car les meilleurs ì
donnent l'impression d'ouvrir des portes et aussi que le cinéma commence ou ì
recommence avec eux. VIVRE SA VIE est de ceux-là.
(Francois ì
Truffaut)


Godard erzählt hier die Geschichte eines Strassenmädchens, sozusagen eine ì
moderne Dirnentragödie. Nana S. kann ihre Mittel in einem ì
Schallplattengeschäft nicht zusammenbekommen, um zum Film zu gehen. Ihre ì
Concièrge stellt sie auf die Strasse, da Nana das Geld für die Miete nicht ì
aufbringt. Ein Mann hält sie für eine Prostituierte, und Nana geht mit ihm. ì
Vom Amateurtum geht sie in den Beruf über, beschützt von einem Zuhälter ì
namens Raoul. Dann, als Nana sich weigert, mit jedwelchem zu schlafen, will ì
Raoul sie weiterverkaufen: Beim Streit mit den Zuhältern wird Nana zufällig ì
von Raoul erschossen.

Die Handlung tönt wie Kolportage - es ist schwierig, sie in drei Worten ì
zusammenzufassen. Aber Godard geht es nicht um das vordergründige Geschehen, ì
vielmehr um die Gestalt der Nana. Sie ist jung, schön, nicht zu intelligent, ì
und führt als Schallplattenverkäuferin ein gut bürgerliches Leben. Ihre Seele ì
ist rein, doch sie findet sich im Leben nicht zurecht, weil es eben nicht ihr ì
Leben ist. Nana sucht nun nach ihrem Leben, befolgt den Grundsatz von ì
Montaigne Il faut se prêter aux autres et se donner à soi-même. So ì
verkauft sie ihren Körper, behält aber ihre Seele, sie wird ì
Prostituierte, weil sie eben zur Prostituierten geboren ist. In ihrer ì
Freiheit wählt sie dieses Leben, sie ist dafür nun verantwortlich: Moi, je ì
crois qu'on est toujours responsable de ce qu'on fait... et libre... Je lève ì
la main, je suis responsable. Je tourne la tête à droite, je suis ì
responsable... Après tout, les choses sont comme elles sont, rien d'autre, ì
mais si. Un visage, c'est un visage, les hommes sont les hommes. Et la vie, ì
c'est la vie.


Nana behält ihre Seele, und diese philosophiert, denkt nach. Sie will sich ì
von Raoul lösen, weil sie das Gefühl der Liebe entdeckt hat. Doch da Nana ihr ì
Leben gelebt hat, muss sie auch ihren Tod sterben, der hier zufällig ì
erscheinen mag, vielleicht aktuell ohne ihre Verantwortung. Aber mit dem ì
Leben hat sie auch ihren Tod gewählt. Godard zitiert bei der Lektüre im ì
letzten Bild Edgar Allan Poe: En vérité, c'est la vie elle-même! - Il se ì
retourna brusquement pour regarder sa bien-aimée... elle était morte...


Nana und Michel in A BOUT DE SOUFFLE haben gemeinsame Züge. Beide wollen ihr ì
Leben leben, und beide sterben auf der Strasse, durch einen Zufall ì
erschossen. Nana ist Godard, und Michel ist Godard, denn jeder Film von ì
Godard gedreht ist ein Portrait Godards. Stammte der gleiche Film von einem ì
anderen Regisseur, wäre er eine Katastrophe, lächerlich und misslungen. ì
Allein Godards Liebe zu Film, seine Begeisterung brachte das Werk zustande. ì
Er scheut sich nun aber nicht, seine Verehrung anderer offen kund zu tun. ì
Halten wir zwei der wesentlichsten Merkmale in ihren Grundzügen fest:

Godard führt so etwa wie den epischen Film ein, eine Analogie zu Bert ì
Brechts epischem Theater. Der Aufbau der Geschichte wird in zwölf Bilder ì
unterteilt, deren Titel in kurzen Worten den Inhalt geben. So wird das 11. ì
Biod mit Place du Châtelet - l'inconnu - Nana fait de la philosophie sans ì
le savoir
überschrieben. Dadurch schafft der Regisseur die Distanz vom ì
Geschehen, macht den Zuschauer zum wirklich Betrachtenden, nicht zum ì
immaginär Mitwirkenden. Kurz: der Effekt der Verfremdung kommt meines Wissens ì
zum ersten Male im Film konsequent zum Ausdruck.

Das zweite Faktum hat eine doppelte Bedeutung: Godard führt in das Geschehen ì
eine Sequenz aus Carl Theodor Dreyers PASSION DE JEANNE D'ARC ein. Damit ì
stellt er Nana eine Paralelle gegenüber: Jeanne lebt das Leben einer ì
Heiligen, sie stirbt ihren Tod, den Tod einer Märtyrerin. Sie wird von den ì
Mönchen verkauft und hingerichtet, von denen, die sie beschützen sollten. ì
Nana versucht sich nicht mit Jeanne zu identifizieren, im Gegenteil: sie ì
erkennt ihre eigene Begrenztheit, als sie sich mit Jeanne konfrontierte.

Im letzten Bild klingt Godard an den Stil Dreyers an: der Dialog verstummt, ì
und Untertitel treten an seine Stelle, als Nana wirklich liebt. Was Worte ì
nicht auszudrücken vermögen, lässt Musik nun fühlen. Hier schafft der ì
Regisseur die subtile Atmosphäre des Traumes, in welchem sich Nana unbewusst ì
mit Jeanne identifiziert, hier beide ein Bild der Reinheit. Doch der Traum ì
erlischt - der brüske Tod wirkt in Verbindung mit dieser Sequenz wie ein ì
Fragezeichen: welches Leben hätte Nana nun leben sollen? Das der Jeanne oder ì
ihr eigenes? En vérité, c'est la vie elle-même! - il se retourna ì
brusquement pour regarder sa bien-aimée... elle était morte...


Der Stil Godards ist vielfältig, wie er es noch in engerem Sinne bei keinem ì
seiner Filme war. Der Rhythmus wechselt von Bild zu Bild, bald ein hektischer ì
Tanz, bald ein langes Gespräch, aus dem kein Räusper geschnitten ist. Ein ì
ganzes Bild ist als Dokumentarfilm gestaltet - das achte - um den Tagesablauf ì
der Prostituierten zu zeigen. Gleichzeitig spricht Raoul einen Kommentar über ì
das Wesen und die Umstände der Prostitution, um so Nana mit den Geheimnissen ì
ihres Berufes vertraut zu machen.

Anna Karina ( ist Nana nicht eine Umkehr ihres Vornamens ? ) verleiht dem ì
Film seine natürliche Grazie. Oft spielt sie gar nicht mehr, ist allein da, ì
zeigt. Aber die Art da zu sein, da-Sein zu besitzen, schon das ì
offenbart hier die Persönlichkeit der jungen Schauspielerin und ì
gleichermassen die subtile Meisterschaft Godards als Regisseur. Anna Karinas ì
Partner sind wohl kaum als Filmschauspieler bekannt: so Sady Rebbot und ì
Gerard Hoffmann, der Filmkritiker André-S. Labarthe, der Philosoph Brice ì
Parain oder der Ornithologe Paul Pavel. Wohl der prominenteste 'Kunde' Nanas ì
dürfte der amerikanische Regisseur Elia Kazan sein.

Raoul Coutard stand wieder an der Kamera, seine Aufnahmen erscheinen oft wie ì
Skizzen, entspringen dem Augenblick. In ihnen pulsiert das Leben, da sie ohne ì
gekünstelte Attribute kadriert sind. Coutard zeigt sich erneut als Meister ì
des Reportagestils, der Godard das Material zu liefern weiss, welches nun ì
gerade Godard braucht. Denn der Film wurde ziemlich schnell in den Strassen ì
von Paris gedreht, die Innenaufnahmen entstanden in oft engen Zimmern. Aber ì
nur wer ein atelierhaftes Geschehen vom Film verlangt, kann hieraus einen ì
Vorwurf zurechtdrehen.

Es bleibt noch etwas zu sagen, nämlich, dass es ein schöner Film ist. ì
Après tout, tout est beau. Y a qu'à s'intéresser aux choses et les trouver ì
belles
sagt Nana zu ihrer Freundin Yvette, und man könnte die gleichen ì
Worte über den ganzen Film setzen.

Man muss den Film lieben um ihn zu erkennen und schön zu finden. Ich liebe ì
ihn! (lhg in Film 62: Jean-Luc Godard)



General Information

Vivre sa vie is a motion picture produced in the year 1962 as a Frankreich production. The Film was directed by Jean-Luc Godard, with Henri Attal, Mario Botti, Marel Charton, Jean Ferrat, Jack Florency, in the leading parts. We have currently no synopsis of this picture on file;

Preise und Auszeichnungen
Venedig 1962 - Sonderpreis der Jury

Literatur Hinweise - Filmgilde 9/4, 10/4;
- Filmstudio Nr. 39, pg 44;
- L'avant-scène du Cinéma (Scenario);

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