Von morgens bis mitternachts

Regie: Karl Heinz Martin, Deutschland, 1920

Deutschland, 1920
Szenenphoto aus Von morgens bis mitternachts, © Ilag-Film (Isenthal und Juttke), Berlin


Stab und Besetzung

Produktion Ilag-Film (Isenthal und Juttke), Berlin
Regisseur Karl Heinz Martin
Drehbuch Herbert Juttke
Karl Heinz Martin
Nach einer Vorlage von Georg Kaiser [Drama]
Kamera Carl Hoffmann
Architekt Robert Neppach
Kostümbild Robert Neppach
Darsteller Ernst Deutsch [Der Kassier]
Erna Morena [Die Frau des Kassiers]
Hans Heinrich von Twardowski [Der junge Mann]
Hans Heinrich von Twardowski [Bankdirektor]
Roma Bahn [Die Fremde: Tochter, Bettelmädchen, Kokotte, Maske, Heilsarmeemädchen]
Adolf Edgar Licho [Fetter Herr]
Hugo Döblin [Trödler]
Frida Richard [Grossmutter]
Lo Heym
Lotte Stein
Elsa Wagner

Technische Angaben
Kategorie: Langspiel Film
Technische Info: Format: 35 mm - Schwarz-Weiss Film,Länge: 75 Minuten
Tonsystem: silent

Vorhandene Kopien: Kopien des Films sind erhalten

Inhaltsangabe
Eine Dame betritt eine Bank, um Geld abzuheben für den Kauf eines Gemäldes von einem Trödler. Doch der Bankdirektor verweigert ihr die Auszahlung. Eine flüchtige Berührung veranlasst den Kassierer, der von ihm angehimmelten Dame helfen zu wollen: Angereizt von der Vorstellung eines mondänen Lebens mit ihr, veruntreut der Bankangestellte eine Summe von 60.000 Mark und stiehlt sich mit dem Geld davon. Daraufhin sucht er die Dame im Hotel auf, um gemeinsam mit ihr ins Ausland zu fliehen. Diese lehnt sein Angebot jedoch unter Gelächter ab, zumal sie sich das Gemälde auch selbst leisten kann.

Am Boden zerstört macht sich der Kassierer auf den Weg nach Hause, wo ihn seine trübselige Familie und ein tristes Leben erwarten. Inzwischen wurde der Diebstahl in der Bank entdeckt. Sich der Gefahr bewusst, flieht der Kassierer auf die "Straße", durch den nächtlichen Schneesturm, in die nächstgelegene Stadt und entkommt damit der Polizei und dem Bankdirektor, die ihn auch zu Hause aufsuchen.

Beim Stadtbummel deckt sich der flüchtige Kassierer mit neuer, eleganter Kleidung ein, bevor er beim Sechstage(rad-)rennen im Sportpalast den wohlhabenden Lebemann spielt. Wieder unterwegs landet er in einem Tanzlokal und anschließend mit einer Kokotte und Champagner im Séparée. Von einem Seemann wird er außerdem in eine Kneipe geschleppt, wo ihn auch beim Kartenspiel seine Glückssträhne nicht verlässt.

Mittlerweile hat die Polizei die Fahndung ausgeschrieben. Eine Kapelle der Heilsarmee zieht durch die Stadt und lässt sich dort nieder. Gleichzeitig werden in dem kriminellen Kassierer melancholische Erinnerungen an seine Familie sowie Ängste vor dem Gefängnis wach, was den Reumütigen schließlich dazu veranlasst, einem Heilsarmeemädchen seine Geschichte zu beichten.

Daraufhin verteilt er das restliche Geld unter den Armen, die sich gierig auf die üppige Beute stürzen. Doch seine Bußemaßnahmen können den Banditen nicht retten: Kurz vor Mitternacht schwärzt ihn das Mädchen von der Heilsarmee bei einem Polizisten an. Die Festnahme des Kassierers steht bevor, doch dieser präferiert erneut die Flucht, diesmal aber die ins Jenseits ... (arte Presse)

Kritiken : Vereinigung Münchener Filmkritiker

«[...] Als zweite Sondervorstellung für die Vereinigung sah man im Vorführungsprogramm der Regina-Lichtspiele den in Süddeutschland noch unbekannten Ilag-Film nach Kaisers "Von Morgen bis Mitternacht". Damit nähert sich der Expressionismus den wesenhaften Möglichkeiten des Films schon viel mehr als im "Caligari": dingliche und schauspielerische Darstellung gehen einheitlich zusammen, wobei freilich immer noch diesem Zusammengehen von aussen her malerisch (mit aufgesetztem Weiss) nachgeholfen wird. Jedenfalls aber erscheint der photographische Naturalismus in diesem Regiewerk K.H. Martins glücklich überwunden und damit in der Entwicklung des Films aus seiner Reproduktionstechnik zu künstlerischer Formung ein weiterer Schritt getan. Welche Münchener Lichtspielleitung wird sich das Verdienst sichern, mit der öffentlichen Vorführung bahnbrechend voranzugehen? » (Quelle: Film-Kurier 4.Jg., Nr.31, 4.2.1922)

Von Morgens bis Mitternachts

«(...) Das Manuskript, von Martin selbst und Herbert Juttke bearbeitet, wurde streng auf dem Grundriss des Dramas errichtet. Nur die Frauengestalten waren in eine einzige Figur vereinheitlicht. Martin wollte vom Individuellen weg - ein Zeitlos-Ewiges war der Blickpunkt. "Ein Kassierer", "ein Mädchen", "eine Mutter" erscheint - keine private Gestalten.

(...) Martin hat die Intensität des Vorgangs stark herausgearbeitet. Die Gestalten sind auf wenige, stark betonte Züge inszeniert. Der Rhythmus ihrer Existenz in die Gebärde verlegt. Die Darstellung ist aus der Dynamik der Handlung heraus konstruktiv gestaltet. Dadurch wird die Szene seelenlos. Der Architekt Neppach hat schwarz-weiss gearbeitet, Figurinen, Landschaften, Inneneinrichtung - alles ist auf lineare Grapikwirkung gestellt, auf die Bewegungswirkung von Flächen und Linien, Hell und Dunkel. Der Weg in die Nacht, im Winterbaum: eine weisse Schlange in dunkle Flächen gepresst: und davor ein Baum, massig, Spiel gereckter Äste. Der Operateur Hoffmann hat die Photographie auf die Absicht des Malers eingestellt: es kommt alles Grau in Grau heraus. Die Figuren haben ihre organische Form abgestreift, sind Teile, Formelemente des dekorativen Gedankens, gestalten den Bildraum mit, werden durch Lichtflecke und Streifen zerrissen, die ihnen aufgemalt sind. (...) Der Film ist nicht zur Aufführung gekommen. In Japan soll er Erfolg gehabt haben.» (Quelle: Rudolf Kurtz: Expressionismus und Film, Berlin 1926 (ND Zürich 2007), S.66-70.)
Anmerkungen : «Als attraktive Dame betritt Erna Morena eine Bank, um einen grossen Betrag abzuheben, der ihr allerdings vom Bankdirektor, der sie für eine Hochstaplerin hält, verweigert wird. Der Kassierer ist fasziniert von ihr, denn sie verkörpert für ihn Luxus, freie Lebensgestaltung und Lustversprechen. Er setzt sein kleinbürgerliches Leben aufs Spiel. Erna Morena wird hier als Stereotyp der grossbürgerlichen Dame eingesetzt: ihre für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Körpergrösse, ihre grazile Fragilität und das für sie typische Spiel mit ihren schmalen langen Händen kam dem expressionistischen Stilwillen des Regisseurs entgegen. »Der Regisseur wollte vom Individuellen weg – ein Zeitlos-Ewiges war der Blickpunkt … Die Figuren haben ihre organische Form abgestreift, sind Teile, Formelemente des dekorativen Gedankens, gestalten den Bildraum mit, werden durch Lichtflecke und Streifen zerrissen, die ihnen aufgemalt sind.« (Rudolf Kurtz) (Filmmuseum München)

«Einer der wenigen reinen expressionistischen Filme, mit verzerrten Kulissen, harten Kontrasten und stilisiertem Spiel der Darsteller. Erzählt wird die Geschichte vom Kassierer einer Bank, der Geld stiehlt, um sich in die Vergnügungen der Grossstadt zu stürzen. Der Film kam seinerzeit nicht in die deutschen Kinos, sondern erlebte seine Uraufführung in Japan, wo sich die einzige Kopie erhalten hat. Die in der originalen Grafik rekonstruierten Zwischentitel wurden vom Filmmuseum München in den Film eingefügt.» (Stummfilmtage Bonn)

«Als das Paradigma des expressionistischen Films gilt scheinbar ohne Zweifel und Konkurrenz "Das Cabinet des Dr. Caligari". Doch zum Bild der Epoche gehören ebenso die Widersprüche und Brüche, die vergessenen, von der Kritik abgelehnten oder kommerziell erfolglosen Filme: "Von morgens bis mitternachts" war ein solcher Film - kein Produkt der Großfilmbranche, sondern ein Low-Budget-Projekt, initiiert von dem Theatermacher Karlheinz Martin. Dieser hatte das gleichnamige expressionistische Bühnenstück von Georg Kaiser über die Verlockungen der Straße und Stadt aus dem Jahre 1912 bereits auf der Bühne inszeniert. Zusammen mit Freund Herbert Juttke, dem Teilhaber einer kleinen Produktionsfirma, schrieb Martin das Drehbuch. Gedreht wurde in den Theaterpausen mit einem Team, das die Inszenierungsideen des Regisseurs mittrug und sich vor allem zu seinen kunstrevolutionären Parolen bekannte - von der Kunst als Imperativ der Freiheit und dem Gestaltungsrecht des Künstlers. Die Filmcrew samt Darsteller arbeiteten zur Entstehungszeit des Films mit Martin zusammen oder kannten ihn von früheren Kooperationen her. Auch Freunde wirkten als Laiendarsteller mit, zum Beispiel der Dichter Max Herrmann und dessen Frau Leni.

In "Von morgens bis mitternachts" sollte eine deformierte Welt deformiert gezeigt werden. Jedoch wirkte der Film zu Beginn der 20er Jahre so schrill, fremd und unkonventionell, dass selbst das schockgewohnte Berliner Metropolenpublikum sich ihm verweigerte und er erst recht nicht die oberschlesische Provinz erreichte. Weil der Regisseur die bildlichen Elemente des "Caligari" sowie den Expressionismus selbst bis an ihre logische Vollendung trieb und so weit über Zeit und Stil hinausging, fand "Von morgens bis mitternachts" kaum Publikum, außer in Japan, dem Land des Holzschnittkünstlers Hiroshige und des No-Theaters.

Martin bezog die Mittel seiner Inszenierung nicht nur aus der Interpretation des Theaterstücks oder aus dem Widerspruch gegen das bürgerliche Repertoiretheater und der Erprobung neuer Spielstätten. Der Film kann auch als Auseinandersetzung mit den zeit- und materialbedingten Beschränkungen des Mediums verstanden werden. "Von morgens bis mitternachts" ist unräumlich, unfarbig und stumm; doch gerade diese Mängel sollten nicht verborgen oder gar künstlich kaschiert, sondern sichtbar gemacht werden. Angekündigt als "der erste Film, der in den Urfarben Schwarz und Weiß abrollt", wurde das Bewegungsbild in die reine Antithese Schwarz-Weiß eingezwängt - wohl im Hinblick auf die generelle Unfarbigkeit des damaligen Films, die hier in letzter Konsequenz durchgespult und -gespielt werden sollte. "Von morgens bis mitternachts" ist der Versuch des experimentierfreudigen Martin, einen sprachlich so eigenwillig präformierten Text optisch neu zu organisieren. Entstanden ist ein Film, dessen Stärke in seiner einzigartigen Bildhaftigkeit liegt: Es wurden Bilder geschaffen, die das Wort fast gänzlich zu verdrängen vermochten und sich durch ihre schlagwortartige Gestaltung einprägen mussten.
"Von morgens bis mitternachts" war zu seiner Zeit offenbar nur in Privat- und Sonderaufführungen gezeigt worden. Lange Zeit danach galt der Film als verschollen, bis 1962 eine Kopie in Japan auftauchte. Ein Jahr später wurde der Film dann erstmals öffentlich in Ostberlin aufgeführt. Das Filmmuseum München nahm sich der Rekonstruktion des expressionistischen Stummfilms an.x (ARTE Presse)

General Information

Von morgens bis mitternachts is a motion picture produced in the year 1920 as a Deutschland production. The Film was directed by Karl Heinz Martin, with Ernst Deutsch, Erna Morena, Hans Heinrich von Twardowski, , Roma Bahn, in the leading parts.

Literatur Hinweise Deutsche Spielfilme von den Anfängen bis 1933, hg von Günther Dahlke und Günther Karl, Berlin 1988, pg 44f;
Stummfilmtage Bonn 2008, Katalog

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