Pordenone Filmfestival 2012 - KinoTV

The Canon revisited


Text?Die freudlose Gasse Regie: Georg Wilhelm Pabst,Deutschland - 1925
Produktion: Sofar-Film-Produktion GmbH., Berlin - Produzent: Romain Pinès - Michael Salkin - Regisseur: Georg Wilhelm Pabst - Regieassistent: Mark Sorkin - Drehbuch: Willy Haas - Story : Hugo Bettauer novel - Kamera: Curt Oertel - Robert Lach - Guido Seeber - Schnitt: Anatole Litvak (/xx/) - Mark Sorkin - Architekt: Hans Sohnle - Otto Erdmann - Darsteller: Karl Etlinger Rosenow - Einar Hanson Leutnant Davy - M Raskatoff Trebitsch - Otto Reinwald Elses Mann - Hertha von Walther Else - Asta Nielsen Marie Lechner - Henry Stuart Egon Stirner - Gräfin Tolstoj Fräulein Henriette - Tamara Tolstoj Lia Leid - Sylvia Torff Mutter Lechner - Ilka Grüning Frau Rosenau - Gregori Chmara Der Kellner - Mario Cusmich Colonel Irving - Agnes Esterhazy Regina Rosennow - Maria Forescu - Jaro Fürth Hofrat Rumfort - Greta Garbo Grete Rumfort - Robert Garrison Ganez - Valeska Gert Frau Greifer - Ivan Petrovich - Max Kohlhase Vater Lechner - Krafft-Raschig Soldat - Werner Krauss Geiringer - Lya Mara - Edna Markstein Frau Merkl - Alexander Murski Dr. Leid - Loni Nest Mariandl -
Inhaltsangabe : Wien zur Zeit der Inflation. Die Melchiorgasse ist ein Spiegelbild der Verhältnisse: mächtig sind Leute wie der geile Fleischermeister oder die zwielichtige Frau Greifer, die Not und Elend ausnutzen, um die Menschen auszubeuten. Zu ihren Opfern gehören Unschuldige wie Grete Rumfort (Greta Garbo), deren Vater nach Fehlspekulationen völlig verarmt ist. Grete wird durch die Liebe eines amerikanischen Leutnants gerettet – im Gegensatz zu der zur Prostituierten gewordenen Marie (Nielsen), die aus Verzweiflung zur Mörderin wird. Ein Querschnitt menschlicher Schicksale im Wien der Inflationszeit: In der Melchiorgasse liegen Elend und Luxus nah beieinander. Hier treffen sich die Verlierer und Gewinner, Prostituierte und Geschäftemacher, Kuppler und Spekulanten. Der Fleischer gibt seine Ware nur gegen sexuelle Dienste heraus. Die Schneiderin betreibt einen Klub, in dem sie junge, hübsche Mädchen verkuppelt. Ein Mann, der an der Börse ein Vermögen machen will, flirtet mit einer reichen Frau. Seine ehemalige Geliebte, inzwischen selbst Mätresse eines reichen Geschäftsmannes, ermordet die Frau aus Eifersucht. Ein Hofrat verliert sein ganzes Geld an der Börse. Seine Tochter landet im Bordell der Schneiderin. Und am Ende kommt auch der brutale Fleischer ums Leben, erschlagen von einer hungernden Mutter. (filmportal.de)
Kritiken : «"Es fällt kein Meister vom Himmel" sagt man. Aber auch Sprichworte können lügen; denn was hier die junge Sofar-Film Gesellschaft uns als Erstling beschert hat, ist ein gradezu vollendetes Meisterwerk, ein bis in alle Tiefen aufrüttelndes, erschütterndes Zeitbild aus allerjüngster Vergangenheit, ein wahrer "Film der Menschlichkeit", dem wir an stofflicher und künstlerischer Wucht nur noch "Raskolnikoff" an die Seite stellen könnten. Mit dem Unterschied nur, daß Milieu, Ethik und Menschenschicksale uns hier so unendlich näher stehen, als in jener russischen Grübelei. Noch liegen die gräßlichen Nöte der alle Moral vernichtenden, eigenen Inflation uns allzu nahe, als daß wir nicht blutenden Herzens mitfühlen sollten mit den Unglücklichen, die uns nun in der Hauptstadt des Bruderlandes mit einer Realistik aufgezeigt werden, die erschrecken könnte, wenn nicht echte Kunst selbst das tödliche Grauen veredeln und in heißes Mitleiden verwandeln würde; wenn nicht diese wirtschaftliche und sittliche Verwüstung wertvollster und ganzer Volksteile durch skrupellose Spekulanten uns instinktiven Haß und Abscheu vor jenen Drohnen der Gesellschaft einimpfen und uns so auch ein wenig zu bessern – versuchte. Was hier in packenden und ach so wahrheitsgetreuen Einzelschicksalen auflebt, es ist die Geschichte von Millionen unserer Mitmenschen, an der wir nur teilnahmslos vorübergingen, weil eigene Sorgen uns allzusehr drückten; für die uns aber hier, zumal die Zeit so manches vergessen ließ, der Blick geschärft wird. Für einen winzigen Brocken Fleisch, für primitivste Bedürfnisse, aber auch für nichtige Eitelkeiten und gierige Spekulationen verkaufen sich Frauen und Mädchen, opfern Männer Stellung und Ehre. Der Dollar vergiftet alt und jung, läßt das Schiebertum in Nacht- und Nacktlokalen übelster Art prassen, während das arbeitende Volk darbt und verkommt! – Willi Haas hat Bettauers Roman zum Film zu einem wirklich lebenden Bilde meisterhaft gewandelt, G.W. Pabst seinen Worten schöpferisch heißen Odem eingeblasen. Und eine Schar großer Künstler hat in innigem, selbstlosem Zusammenspiel diesen Menschen Herz und Seele gegeben. Keiner fiel aus dem kostbaren Rahmen; fast erscheint es uns unrecht, hier einige Namen gesondert zu nennen: Asta Nielsen, Greta Garbo, Tamara, Gräfen Esterhazy, Hertha von Walther, Valeska Gert, Werner Krauß, Jaro Fürth, Robert Garrison und, als Episode leider nur und doch unvergeßlich Grigorij Chmara!.- Ein Ensemble wie selten eines: Dazu Seebers stimmungsreiche Photographie und Sohnle und Erdmans oft geradezu unheimlich echte Bauten – kurz: Dieses Prachtwerk, diese "Freudlose Gasse" wird wohl nirgendwo auch eine "Freudlose Kasse" hinterlassen.» (Dr. Mendel, Lichtbild-Bühne, Nr. 77, 19.5.1925, zitiert nach filmportal.de) «(…) Der Verfasser des Manuskripts Willi Haas, der Autor des Murnau-Films "Der brennende Acker", ist ohne Frage einer unserer kultiviertesten Filmautoren, dessen künstlerische Intentionen in früheren Filmen durch die Unzulänglichkeit der anderen beteiligten Faktoren mitunter durchkreuzt wurden. Ein Verhängnis, das gerade unsere wertvollsten Filmschriftsteller mit einer Art mystischer Notwendigkeit zu verfolgen pflegt. Vielleicht, damit im Kampf mit dem "großen Krummen" (um mit Ibsen zu reden) ihre geistige und künstlerische Energie zur höchsten Intensität gesteigert wird. Das Manuskript von Haas bietet dem Regisseur die denkbar tragfähigste Basis, um einen Film im oben angedeuteten Sinne zu schaffen. Trotzdem der Autor, wie gesagt, vielleicht besser getan hätte, eines der im Roman behandelten Schicksale zum Mittelpunkt der Geschehnisse zu machen, anstatt eine Reihe von Schicksalskomplexen als gleichberechtigt nebeneinander zu stellen. Der große Vorzug dieses Manuskripts besteht vor allem hierin: Die einzelnen Geschehnisse sind untergeordnet einer einheitlichen Idee. Keines dieser Menschenschicksale steht isoliert, sondern es ist begründet in der Tragödie der Zeit, in dem Schicksal der sterbenden Stadt Wien, das hier im Bilde projiziert wird. Der Autor hat hier die Aufgabe erfüllt, die Sendung jedes Bühnenwerkes, jedes Romans und jedes Films, der mehr als bloße Unterhaltung sein will, bedeutet: im Mikrokosmos den Makrokosmos zu enthüllen, im einzelnen das Allgemeine aufzuzeigen. Neben Karl Mayers "Letzten Mann" ist diese "Freudlose Gasse" von Willi Haas das einzige deutsche Filmmanuskript der letzten Saison, das derartige Gedankengänge auslöst. Wie weit ist nun der Regisseur G.W. Pabst die Wege gegangen, die das Manuskript ihm gewiesen? Das große Verdienst dieser Regieleistung ist vor allem dies: der Film hat Atmosphäre. Die Luftschicht um diese Menschen herum wird spürbar. Das Gesicht der Stadt Wien mit ihren individuellen Zügen wird entschleiert. – Was dem Film mangelt, ist die Geschlossenheit der Komposition. Die ungeheure Vielfalt der Geschehnisse hat den Regisseur betäubt. Anstatt eines einheitlich gefügten Organismus gibt er ein mitunter verwirrendes Mosaik von Szenenfetzen, die gleich einem Geisterzug vorüberflirren; der Stoff ist nicht rhythmisch gebändigt; das Furiose dieser Handlung, die psychischen Delirien, von denen diese Menschen geschüttelt werden, sind in dieser Bilderführung nicht Gestalt geworden. Die Stärke der Regie liegt in der Bildkonzeption. Jedes einzelne Bild, für sich allein betrachtet, hat fluidale Kraft. Die Menge, die sich am Fleischerladen drängt, das Treiben im Salon der würdigen Madame Greifer, das Toben der empörten Masse zum Schluß, der Brand, das alles sind Momente, die einer bildhaft orientierten Künstlerphantasie entstammen. Es fehlt nur die formende Kraft, aus einem Chaos einen Kosmos zu schaffen. Was dem Film eine Sonderstellung verleiht. Ist die Qualität einiger Schauspielerleistungen. Es ist der Film der großen Besetzung. (…)» (Heinz Michaelis, Film-Kurier, Nr. 117, 19.5.1925, zitiert nach filmportal.de)
Anmerkungen: DIE FREUDLOSE GASSE ist nicht nur einer der wichtigsten Filme der Weimarer Republik, der wegen seines realistischen Stils den Regisseur mit einem Schlag weltberühmt machte, sondern auch einer der spektakulärsten Zensurfälle der 20er Jahre. So haben bisher [1997] Filmhistoriker immer nur verstümmelte Fassungen zu sehen bekommen, die in keiner Weise annähernd an das Original heranreichten. Die neue Rekonstruktion stellt eine große Verbesserung gegenüber den bisher verfügbaren Fassungen dar. Waren bisherige Fassungen um die Hauptfiguren Marie und Grete (und mithin um die Stars Asta Nielsen und Greta Garbo) zentriert, so hat der Film jetzt vier weibliche Hauptfiguren: Else (Hertha von Walter), Marie, Grete und Regina (Agnes Esterhazy), die Tochter des Bankiers Rosenow - sie repräsentieren sämtliche soziale Schichten im Wien der 20er Jahre: Obdachloses Lumpenproletariat, Proletariat, den verarmten Mittelstand und das Großbürgertum. Um diese vier Figuren gestaltet Pabst ein Tableau Vivant von mehr als 18 Charakteren, die in ihren verschiedenen Geschichten die sozialen Mißstände genauso entblößen wie die nackten Frauen im Nachtclub ihre Körper. (Jan-Christopher Horak, Filmmuseum München) «Der Film beruht auf der Bearbeitung eines 1924 erschienenen Romans von Hugo Bettauer und wurde in nur fünf Monaten realisiert. Die Geschichte war seinerzeit hoch aktuell und politisch brisant: Bettauer war dem damals sogenannten "roten Wien" zugehörig, seine Arbeit in den deutschsprachigen Ländern äußerst umstritten. Rechtsgerichtete Politiker prangerten seine Werke an, Ende 1924 forderten nationalsozialistische Zeitungen seine "Ausrottung". Noch während der Dreharbeiten wurde der Schriftsteller ermordet. Kaum ein Film der internationalen Filmgeschichte wurde von der Zensur aus politischen und moralischen Gründen nachhaltiger gekürzt und verfälscht. Manche Länder verboten ihn sogar ganz. Nach seinem Erscheinen erhielt "Die freudlose Gasse" besonders von der linken Presse hervorragende Kritiken.» (filmportal.de) Eine nachsynchronisierte Fassung wurde 1937 in den USA unter dem Titel STREET OF SORROW gezeigt. // In the original prints, Asta, playing an impoverished woman who resorts to prostitution and murder, was one of two equal-time female leads. Ruthlessly cut for American release, the film suddenly became a Greta Garbo vehicle, with only snippets of the woman Garbo said "taught me everything I know." Fortunately, the print has been restored and Asta triumphs in the role of the increasingly unbalanced Marie. (Gary Morris, www.brightlightsfilm.com/16/asta.html)

Text?Die Weber Regie: Friedrich Zelnik,Deutschland - 1927
Produktion: Friedrich Zelnik-Film GmbH. - Produzent: Friedrich Zelnik - Regisseur: Friedrich Zelnik - Drehbuch: Willy Haas - Fanny Carlsen - Kamera: Friedrich Weinmann - Frederik Fuglsang - Musik: Willy Schmidt-Gentner - Architekt: Andrej Andrejev - Art Department: George Grosz - Darsteller: Hermann Picha Baumert - Arthur Kraussneck Alter Weber Hilse - Camilla von Hollay Tochter Bertha Baumert - Emil Biron - Paul Wegener Fabrikant Dreißiger - Hertha von Walther Tochter Emma Baumert - Valeska Stock Frau Dreißiger - Dagny Servaes Luise Hilse - Hans Heinrich von Twardowski Sohn Gottlieb Hilse - Theodor Loos Weber Bäcker - Wilhelm Dieterle Moritz Jäger -
Anmerkungen: Friedrich Zelniks Filmversion von Gerhart Hauptmanns Bühnenstück „Die Weber“ ist eine werkgetreue Umsetzung des Dramas und gilt als eine der besten Hauptmann-Adaptionen der deutschen Filmgeschichte. Noch heute wirkt der Film, dessen Bildsprache stark von Eisenstein und Pudowkin beeinflusst ist, durch seine stimmige visuelle Gestaltung (in Zusammenarbeit mit George Grosz) und durch die Mitwirkung exzellenter Schauspieler wie Paul Wegener und Wilhelm Dieterle. (ARTE)

Hands up! Regie: Clarence G. Badger,USA - 1926
Regisseur: Clarence G. Badger - Drehbuch: Monte Brice - Lloyd Corrigan - Darsteller: George A. Billings Abraham Lincoln - Virginia Lee Corbin Alice Woodstock - Charles K. French Brigham Young - Raymond Griffith Jack - Noble Johnson Sitting Bull - Montagu Love Captain Edward Logan - Marian Nixon Mae - Mack Swain Silas Woodstock -

Text?La passion de Jeanne d'Arc (Die Passion der Jungfrau von Orleans), Regie: Carl Theodor Dreyer,Frankreich - 1928
Regisseur: Carl Theodor Dreyer - Drehbuch: Joseph Delteil - Carl Theodor Dreyer - Kamera: Rudolph Maté - Architekt: Jean Hugo - Hermann Warm - Darsteller: Antonin Artaud Massieu - Jean Ayme - André Berlet Jean d'Estivet, Ankläger - Jean d'Yd - Renée Falconetti Jeanne - Mihalesco - Maurice Schutz Loyseleur - Eugène Silvain Erzbischof Pierre Cauchon - Michel Simon -
Inhaltsangabe : La Passion de Jeanne d'Arc rekonstruiert die Ereignisse rund um den Prozeß der Pariser Universität gegen die Jungfrau von Orleans anhand der historischen Prozeßakten. Die der Ketzerei beschuldigte Heilige wird nach quälenden Verhören, Folter und einem widerrufenen Geständnis schließlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Das Drehbuch und die Zwischentitel stützen sich dabei vor allem auf die Prozeßakten und lassen so ein psychologisches Kammerspiel von großer Dichte entstehen.
Kritiken : "Nach dem Muster einer griechischen Tragödie stelle Dreyer den Verlauf des Prozesses zu Rouen an einem Tag dar. Der Film zeigt die Untersuchung Jeannes, die Folterung, den psychischen Druck, der auf die ausgeübt wird, um ein Schuldbekenntnis zu erzwingen, das Kahlscheren und die Verbrennung." (Jerzy Toeplitz, Geschichte des Films) "Der berühmte Film schildert die Gerichtsverhandlung, Aburteilung und Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen der Jeanne d'Arc (etwa 1410-1431). Dreyer arbeitete vorwiegend mit Großaufnahmen - gewissermaßen eine optische Erschließung des menschlichen Antlitzes - und mit sparsamen, mathematisch kalkulierten Kamerabewegungen. Die Zwischentexte des Stummfilms sind den Prozeßakten entnommen. Der Film ist kein Historiengemälde, keine Chronik der Ereignisse, sondern die distanzierte und dennoch höchst intensive Beschreibung eines Glaubenskampfes. Die später unterlegte Musik kommt einer Zerstörung des Bildrhythmus nahe." (Zoom)
Anmerkungen: Dreyers Jeanne d'Arc entstand zu einer Zeit, in der sich der Stoff äußerster Beliebtheit erfreute. Wie der Regisseur oben ausführt, war Jeanne erst vor Kurzem heilig gesprochen worden, was einen Jeanne d'Arc-Boom in Frankreich und Andernorts auslöste. Bereits im 19. Jahrhundert hatte es einen regelrechten Kult um die junge Frau gegeben, deren Abenteuer und wichtigsten Lebensstationen äußerst beliebte Motive für die populäre Kunst abgaben und v.a. als Reproduktionen in Schulbüchern weite Verbreitung fanden. Umso erstaunlicher ist es, dass Dreyer in seinem Film gänzlich auf diese Motivgeschichte verzichtet. Jeannes Leben vor dem Prozeß wird ebenso ausgespart wie die kanonisierten Bilder der jungen Frau als sie Stimmen hört oder in Rüstung. Ihre Kriegsdienste für den französischen König bleiben unerwähnt. Statt dessen konzentriert sich Dreyer auf den Konflikt zwischen Jeanne und den kirchlichen Inquisitoren. In z.T. extremen Großaufnahmen wird das Wesen des "Nahkampfes" zwischen ihr und ihren Anklägern deutlich. Das Publikum soll Jeannes Schmerz und ihre Verzweiflung spüren und aufgerüttelt werden durch die ungewöhnlichen Einstellungen. Der völlige Verzicht auf jegliches Make-up erhöht dabei die Unmittelbarkeit der Erfahrung. Dreyer ging es um das innere Drama, nicht um die historische Rekonstruktion des Ereignisses. Dies zeigt sich auch in dem von ihm angesprochenen Umgang mit historischer Authentizität. Die Kleidung der Protagonisten ist weitgehend zeitlos, die Ausstattung ist spärlich und kaum in den Einstellungen zu sehen. Meist dominieren Großaufnahmen der Gesichter vor kahlem, weißen Hintergrund das Bild. Die historische Burg und der Innenhof, der zu Jeannes Hinrichtungsstätte wird, sind nur angedeutet. Dies ist um so erstaunlicher, als das Szenenbild des Films das teuerste war, das zu diesem Zeitpunkt in Frankreich produziert worden war. Tatsächlich ließ Dreyer die vollen Kulissen bauen, um den Schauspielern eine möglichst atmosphärische Umgebung zu bieten, in der sie ihr Spiel entfalten konnten. So verschlang der Dreh die ungeheuerliche Summe von neun Millionen Franc, genauso viel übrigens wie ein gleichzeitig in Frankreich produzierter üppiger Kostüm- und Abenteuerfilm zum selben Thema. So unspektakulär die Ausstattung ist, so atemberaubend ist die filmische Gestaltung des Werkes. Bei der Montage zeigen sich die Einflüsse von Abel Gance, der in seinem aufsehenerregende Napoléon schnelle Schnitte mit harter Montage gepaart hatte, und der von Sergeij Eisenstein, dessen Panzerkreuzer Potemkin Dreyer stark beeindruckt hatte. Statt der damals üblichen 500-1000 Einstellungen pro Film, bringt es Jeanne d'Arc auf über 1500 Einstellungen, eine visuelle tour de force, die die Dramatik der Großaufnahmen noch steigert. Dem Kinopublikum seiner Zeit ging dieser Stilwille zu weit. Der Film wurde schnell von den Verleihern als Avantgarde-Produktion verkauft, so daß ihm der Weg zum großen Publikum weitgehend versperrt blieb, anders als es Dreyer beabsichtigt hatte, der ein Werk von zeitloser Allgemeingültigkeit für alle Publikumsschichten schaffen wollte. Dazu kamen Schwierigkeiten mit der Zensur. Nach der Weltpremiere in Kopenhagen mußte der Film für seine französische Uraufführung auf Betreiben der Kirche um 15 min gekürzt werden. Schon vor Beginn der Dreharbeiten hatte es Proteste gegeben, als man erfuhr, dass ein ausländischer Regisseur, noch dazu ein Protestant, mit der Verfilmung des Lebens dieser Nationalheldin beauftragt werden sollte. Gerüchte, dass die Hauptrolle der Amerikanerin Lillian Gish angetragen werden sollte, schürten die Animositäten zusätzlich. Dreyer fand seine Idealbesetzung schließlich in Renée Falconetti, einer populären Schauspielerin am Theatre de Paris, die vor allem in leichten Komödien auftrat. Ihr unvergleichliches und ausdrucksstarkes Gesicht und ihr rückhaltloses Spiel sind es, die La Passion de Jeanne d'Arc prägen und die sie zu Dreyers "Reinkarnation der Märtyrerin" werden lassen. (StummFilmMusikTage Erlangen) »Dreyers meistgefeiertes Werk und einer der künstlerisch reinsten und wahrhaft berührenden Filme der Stummfilmzeit, den er selbst ›eine Hymne an den Triumph der Seele über das Leben‹ nannte, war jahrelang nicht in der originalen Fassung zu sehen. 1981 wurde eine dänische Originalkopie in einer norwegischen Nervenheilanstalt gefunden, was zu einer neuen Wertschätzung dieses außergewöhnlich formalen und emotionalen Films geführt hat. Filmtechnisch markiert er einen Meilenstein mit seiner fast abstrakten mittelalterlichen Gerichtsszenerie, seinem sicheren Instinkt für dramatische Komposi tion, seinen wunderbar flüssigen Kamerafahrten und den schnellen Schnitten zwischen extremen Nahaufnahmen von Jeanne zu ihren mitleidslosen Inquisitoren. « (Philip Horne) Filmmuseum München Dreyer über die Dreharbeiten "Die Jungfrau von Orleans und die Ereignisse um ihren Tod herum begannen mich zu interessieren, als die Heiligsprechung des Hirtenmädchens im Jahre 1920 die Aufmerksamkeit der größeren Öffentlichkeit wieder auf die Ereignisse und die Taten, an denen sie beteiligt war, lenkten. Und das nicht nur in Frankreich. Neben Bernhard Shaws ironischem Theaterstück erregte auch Anatole Frances wissenschaftliche Abhandlung großes Interesse. Je vertrauter ich mit dem historischen Material wurde, desto entschlossener wurde ich, die wichtigsten Stationen aus dem Leben der Jungfrau in einem Film wieder auferstehen zu lassen. Bereits im Vorfeld war mir klar, dass dieses Projekt besondere Anforderungen stellte. Das Thema auf der Ebene des Kostümfilms zu behandeln, hätte ein Porträt der kulturellen Epoche des 15 Jahrhunderts gestattet. Dies hätte jedoch bestenfalls zu einem Vergleich mit anderen Epochen geführt. Was zählte, war den Zuschauer in der Vergangenheit aufgehen zu lassen; die Mittel dazu waren mannigfaltig und neu. So wurde die sorgfältige Durchsicht der Dokumente aus dem Rehabilitierungsprozeß notwendig. Die Kleidung der Zeit und Ähnliches habe ich nicht recherchiert. Das Jahr der Ereignisse schien mir ebenso unbedeutend wie sein zeitlicher Abstand zur Gegenwart. Ich wollte eine Hymne an den Triumph der Seele über das Leben komponieren. Was dem möglicherweise tief bewegten Zuschauer aus den eigentümlichen Großaufnahmen entgegenströmt, wurde nicht zufällig ausgewählt. All diese Bilder drücken den Charakter der gezeigten Person und den Geist dieser Zeit aus. Um die Wahrheit zu vermitteln, verzichtete ich auf jede Form von "Verschönerung". Meine Darsteller durften weder Schminke noch Puderquaste anrühren. Ich brach auch mit den Traditionen des Kulissenbaus. Vom ersten Drehtag an ließ ich die Set Designer alle Bauten errichten und alle Vorbereitungen treffen und dann wurde alles von der ersten bis zur letzten Szene in der richtigen Reihenfolge gedreht. Rudolf Maté, der die Kamera bediente, verstand die Anforderungen, die das psychologische Drama an die Großaufnahmen stellte, und er gab mir das, was ich wollte, meine Gefühle und meine Idee: realisierten Mystizismus. Aber in Falconetti, die die Jeanne spielt, fand ich, was ich, um es mit aller Deutlichkeit zu sagen, 'die Reinkarnation der Märtyrerin' nennen möchte". (Dreyer, Carl Theodor. Dreyer in Double Reflection)

Ménilmontant Regie: Dimitri Kirsanoff,Frankreich - 1925
Regisseur: Dimitri Kirsanoff - Darsteller: Yolande Beaulieu - Guy Belmoré - Jean Pasquier - Maurice Rosnard - Nadia Sibirskaia -

Text?Prostoj sluchaj (Ein gewöhnlicher Fall), Regie: Vsevolod Pudovkin,UdSSR - Sowjet Union - 1929
Produktion: Mezhrabpomfilm - Verleih: Amkino USA - Regisseur: Vsevolod Pudovkin - Drehbuch: Aleksandr Rzheshvskij - Mikhail Koltsov - Kamera: Georgij Bobrov - Grigorij Kabalov - Architekt: Sergej Kozlovskij - Darsteller: Aleksandr Baturin - Marija Belousova - Anna Chekulajeva - Aleksandr Chistjakov - Andrej Gorchilin - V Kuzmich - Ivan Novoseltsev - Jevgenija Rogulina Mashenka - Vladimir Uralskij -
Kritiken : «Ein Schnitter mäht Gras. Welch ein Bild! Wie erregend an einem lichten Tag nach starkem Regenfall. Doch wie soll man das filmen? Die Zeitlupe kommt uns zu Hilfe. Man stelle sich vor: Schnell fällt das Gras, in den Sonnenstrahlen glitzert die Sense, langsam neigt sie sich zum Schnitt, die Tautropfen gleiten abwärts, verstieben und werden vom Staub aufgesogen. Doch so rasch sich das Gras – wie Haar, das geglättet wird – zu Boden neigt und zu Boden fällt, so langsam hebt sich die Sense, in Hunderten verschiedenartigen Einstellungen aufblitzend, vom Boden wieder in die Luft empor. Oder man erinnere sich der bald in Zeitlupe, bald als Trick, bald verlangsamt, bald beschleunigt aufgenommenen Einstellungen der wachsenden Blumen oder des keimenden Gemüses – sie veranschaulichen das Leben in seinem Beharrungsvermögen.» [Wsewolod Pudowkin: Die Zeit in Großaufnahme. Berlin 1983]
Anmerkungen: Wsewolod Pudowkins letzter Stummfilm ist ein seinerzeit wegen formalistischer Spielerei heftig kritisiertes Meisterwerk, das seine Theorie von der „Zeit in Großaufnahme“ visuell umzusetzen versucht. Die einfache Geschichte einer im Bürgerkrieg spielenden Ehekrise, in der der Mann seine Frau wegen einer Jüngeren verlässt, ist Ausgangspunkt für rein visuell vermittelte Stimmungen, Erinnerungen und Träume, die weitgehend auf Zwischentitel verzichten. [www.internationale-stummfilmtage.de]

Text?Zvenigora (Swenigora), Regie: Aleksandr P. Dovzhenko,UdSSR - Sowjet Union - 1927
Produktion: VUFKU, Odessa - Regisseur: Aleksandr P. Dovzhenko - Regieassistent: Julia Solntseva - Chernjajev - M Subov - D Bodik - Drehbuch: M Johanson - Jurko Tjutjunnik - Kamera: Boris Zaveljev - Schwenker: Aleksej Pankratjev - Kamera Assistent: V Goritsin - Architekt: Vasilij Krichevskij - Maskenbildner: Scherbina - Darsteller: Nikolaj Charov Pawel's Freund - Georgij Astafiev Heerführer der Skythen - Leonid Barbe Katholischer Mönch - Jurko Tjutjunnik - V Malskij - Nikolaj Nademskij Grossvater und General - I Seljuk Ataman der Haidamaken - T Dovbish Student - Vladimir Uralskij Bauer - Ju Mikhalev Adjutant - Marija Parshina Timoschkas Frau - Aleksandr Podorzhnyj Pavlo, Timosch's Bruder, Bandit, später weisser Emigrant - Semjon Svaszenko Timosch, Rotarmist, später Ingenieur - Polina Skliar-Otawa Oxana - A Simonov Dicker Offizier zu Pferd -

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